Der Deutsche Bundestag hat heute ein Gesetz zur Novellierung des Telekommunikationsüberwachungsrechts verabschiedet.

Das Gesetz

• novelliert die geltenden Vorschriften der StPO zur Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
• sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen

„Ziel der Novelle ist es, die verfassungsrechtlich gebotene effektive Strafverfolgung so grundrechtsschonend wie möglich zu gewährleisten. Eine Telefonüberwachung wird deshalb künftig nur noch bei schweren Straftaten zulässig sein, also bei Straftaten, die im Höchstmaß grundsätzlich mit mindestens fünf Jahren Haft bedroht sind. Die Entscheidung über den Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen fällt weiterhin das Gericht. Ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen, ist eine Telefonüberwachung von vornherein verboten. Insbesondere bei den Berufsgeheimnisträgern wie beispielsweise Ärzten, Journalisten oder Rechtsanwälten wird der nach geltendem Recht vorhandene Schutz nicht nur vollumfänglich erhalten, sondern ausgebaut, indem eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt wird. Zudem sorgen verfahrenssichernde Regelungen wie Benachrichtigungspflichten, einheitliche Löschungsregelungen und ein umfassender nachträglicher Rechtsschutz für so viel Grundrechtsschutz wie noch nie zuvor im Bereich der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen“, unterstrich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.

Im Einzelnen:

1) Veränderter Straftatenkatalog bei der Telefonüberwachung

Der Katalog der Straftaten, zu deren Aufklärung eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO angeordnet werden kann, wird grundsätzlich auf schwere Straftaten begrenzt: Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, werden aus dem Katalog gestrichen (z.B. fahrlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Anstiftung/Beihilfe zur Fahnenflucht durch Nicht-Soldaten, Verstöße gegen das Vereinsgesetz).
Neu in den Katalog aufgenommen werden schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität: Korruptionsdelikte, gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug, gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung, schwere Steuerdelikte, wie etwa der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel sowie alle Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), alle Menschenhandelsdelikte sowie jede Form der Verbreitung von Kinderpornographie.

2) Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei der Telefonüberwachung
Selbst wenn es um die Aufklärung schwerster Straftaten geht, darf in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht eingegriffen werden. Der Gesetzesvorschlag enthält deshalb bei der Telekommunikationsüberwachung ein ausdrückliches Erhebungs- und Verwertungsverbot für Kommunikationsinhalte aus diesem intimsten Bereich. Wenn also in einem Telefonat über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird, ist die Überwachung des Telefonats unzulässig. Wird es gleichwohl abgehört, dürfen daraus gewonnene Informationen keinesfalls in einem Strafverfahren verwertet werden.

3) Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen bei allen Ermittlungsmaßnahmen
Für Personen, die als Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, gilt:

• Das Zeugnisverweigerungsrecht in der Vernehmung bleibt unverändert.

• Der Schutz der Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Journalisten, Rechtsanwälte) wird künftig auf alle Ermittlungsmaßnahmen erstreckt (galt bislang nur für einzelne Maßnahmen) und damit in umfassender Weise verbessert.

• Bisherige Schutzvorschriften wie die Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) oder das Verbot der Wohnraumüberwachung bei Berufsgeheimnisträgern (§ 100c Abs. 6 StPO) bleiben uneingeschränkt bestehen.

Im Einzelnen:

• Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete werden durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung werden sie von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das unter Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Gespräche mit dem Seelsorger und mit dem Verteidiger gefordert. Für Abgeordnete ist dieser absolute Schutz ebenfalls notwendig, denn sie werden um der Funktionsfähigkeit des Parlaments willen schon durch das Grundgesetz besonders geschützt (Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeschutz).

• Alle anderen Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten) ebenfalls generell von jeder Ermittlungsmaßnahme auszunehmen, ist weder verfassungsrechtlich geboten, noch vertretbar. Denn Erhebungs- und Verwertungsverbote beeinträchtigen die Wahrheitsfindung empfindlich. Es steht dem Gesetzgeber nicht frei, ohne hinreichenden Grund einzelne Berufsgruppen von Ermittlungsmaßnahmen auszunehmen. Ein genereller Vorrang der Interessen der Berufsgeheimnisträger vor dem Strafverfolgungsinteresse ist verfassungsrechtlich nicht begründbar. Ermittlungsmöglichkeiten zur Erforschung des wahren Sachverhalts dürfen daher nicht zu sehr eingeschränkt werden, weil ansonsten eine effektive Strafverfolgung, die ihrerseits verfassungsrechtlich geboten ist, erschwert oder unmöglich würde. Nur eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung sichert die Feststellung der Schuld des Schuldigen und die Feststellung der Unschuld des Unschuldigen. Deshalb bedarf es hier einer sorgfältigen Abwägung der durch das Berufsgeheimnis geschützten Interessen mit den Erfordernissen einer effektiven Strafverfolgung, die im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger verfassungsrechtlich geboten ist.

Die StPO trägt der besonderen Stellung dieser Berufsgeheimnisträger Rechnung. Ihr bislang geltender, besonderer Schutz wird nicht nur erhalten, sondern weiter ausgebaut. So wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen nur nach einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall einbezogen werden dürfen.

Beispiel: Die Entscheidung, ob eine Observierung gegen einen Journalisten durchgeführt werden darf, bedarf danach in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung, bei der die Pressefreiheit einerseits sowie die Schwere der aufzuklärenden Straftat andererseits gegeneinander abzuwägen sind. Handelt es sich nicht um eine Straftat von erheblicher Bedeutung , ist die Maßnahme unzulässig. Dies gilt auch für die Entscheidung, ob die erlangten Erkenntnisse zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden dürfen.

Was heißt das konkret? Die Polizei oder Staatsanwaltschaft darf eine Ermittlungsmaßnahme zur Beschaffung von Informationen, über die ein Journalist das Zeugnis verweigern dürfte, nur durchführen, wenn das „verhältnismäßig“ ist. Dabei ist das öffentliche Interesse an der journalistischen Tätigkeit (Schutz der Pressefreiheit) gegen das auch dem Opferschutz dienende verfassungsrechtliche Gebot einer wirksamen Strafverfolgung in jedem Einzelfall sorgfältig abzuwägen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Frage, wie schwer die verfolgte Straftat wiegt. Zur Aufklärung einer einfachen Körperverletzung oder einer Beleidigung dürfte ein Journalist nicht observiert werden. Geht es dagegen um schwerwiegende Straftaten (z. B. Mord, Totschlag, Bildung einer terroristischen Vereinigung), wird die Abwägung anders ausfallen.

„Verstrickungsregelung“: Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können bereits nach geltendem Recht beispielsweise Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn ohne die Unterlagen die Aufklärung der Straftat aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und die Beschlagnahme unter Berücksichtigung der Pressefreiheit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.

Dabei soll es bleiben, allerdings unter zusätzlich erschwerten Bedingungen: Es müssen bestimmte (konkrete) Tatsachen vorliegen, auf die sich der Verstrickungsverdacht gründet.
Beispiel: Ein Journalist berichtet über einen Bankraub und veröffentlicht dabei Informationen, die darauf hindeuten, dass er weiß, wer der Täter ist. Gegenüber den Strafverfolgungsbehörden beruft sich der Journalist auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Nach geltendem Recht kann die Strafverfolgungsbehörde auf den – einfachen – Verdacht hin, der Journalist könnte an der Tat beteiligt sein, im Rahmen des Ermittlungsverfahren gegen den mutmaßlichen Bankräuber trotz der Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht eine Durchsuchung beim Journalisten vornehmen und dabei Beweisunterlagen beschlagnahmen. Künftig soll das nur noch möglich sein, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Journalist in den Bankraub verstrickt ist (z. B. an diesem beteiligt war oder sich der Begünstigung strafbar gemacht hat).

Zum besonderen Schutz der Pressefreiheit setzen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen bei Medienmitarbeitern bei Verrat von Dienstgeheimnissen künftig zusätzlich voraus, dass die nach dem materiellen Strafrecht erforderliche Strafverfolgungsermächtigung der zuständigen obersten Behörde bereits erteilt wurde – und zwar auch gegenüber dem Medienmitarbeiter.
Zudem wird die Pressefreiheit durch einen verbesserten Informantenschutz gestärkt:

Zufallsfunde (Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde) bei Medienmitarbeitern dürfen nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter 5 Jahren Freiheitsstrafe bewehrt sind, verwertet werden.

• Für die Berufshelfer von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Rechtsanwaltsgehilfen) soll derselbe Schutz gelten wie für den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst.

4) Verfahrenssicherungen für mehr Grundrechtsschutz bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
Durch eine Reihe von Verfahrenssicherungen wird der Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind, verbessert:

• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen

• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen

• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten

• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen

• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

Quelle: Newsletter des Bundesministeriums der Justiz vom 09.11.2007